Kinder und brav – sind das zwei Wörter, die tatsächlich zusammenpassen? Welche Erfahrungen habt Ihr denn gemacht?
Ich möchte Dir meine Erfahrung und Einschätzung wie folgt erläutern:
Kinder sind von Geburt an ungeduldig. Wenn ein Kind ein Bedürfnis verspürt – Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Alleinsein, etc. – muss dieses Bedürfnis sofort und völlig kompromisslos befriedigt werden.
Kinder erlernen erst im Rahmen ihrer Sozialisierung, ihrem Erlernen des Lebens in der Gemeinschaft und der Gesellschaft, die Tugend der Geduld. Ich meine, grundsätzlich ist es doch kein Fehler und aus Sicht des Kindes völlig nachvollziehbar, ungeduldig zu sein. Es besteht ein persönliches Bedürfnis – ein Schmerz, ein Fehlen von Etwas – und wenn ein Kind ein solches Manko feststellt, muss dieser Bedarf unmittelbar befriedigt werden. Warum auch nicht? Schließlich fühlt sich jedes Kind als Nabel der Welt. Was ja auch durchaus erfrischend ist und eine gesunde Einstellung prägt. Allerdings geht ein solches Verhalten natürlich im Zusammenleben mehrerer Menschen natürlich nicht immer einher mit den Bedürfnissen anderer Menschen. Dadurch können Konflikte entstehen.
Und hier nun meine erste These: Kinder können brav sein, obwohl sie dem Grunde nach ungeduldig sind.
Denn ist es die richtige Reaktion der Eltern auf die Aktion des Kindes, die da lautet „Ich brauche das – und zwar sofort!“, zu sagen: „Sei brav!“? Ich meine nein, ein Zusammenhang besteht nicht. Es geht vielmehr darum, die Kinder in Geduld zu üben, sich zu erklären – sofern möglich – und dann die verschiedenen Prioritäten nacheinander abzuhandeln. Ein Kind ist nicht deshalb nicht brav, weil es ungeduldig ist. Oder anders formuliert: Das Ideal des braven Kindes ist unabhängig von der immanenten Ungeduld des Kindes.
These 2: Kinder können brav sein – und zugleich widerspenstig. Was meine ich damit?
Wir kennen die Kinder, die stets Widerworte geben, wenn sie etwas tun oder lassen sollen. Das am häufigsten verwendete Widerwort ist: „Nein.“ Offensichtlich setzt das Kind andere Prioritäten als die Eltern, die den Wunsch nach Änderung des Verhaltens geäußert haben. Möglicherweise wissen die Eltern mehr als die Kinder und drängen daher auf eine Verhaltensänderung. Für das Kind ist dieser Wunsch aber nicht nachvollziehbar. Daher kommt es dem Wunsch auch nicht nach. Muss das Kind denn stets unmittelbar auf diese Anfragen kooperativ reagieren, um als brav zu gelten? Ich meine, es ist dem Kind dem Grunde nach erlaubt, Aufträge und Aufforderungen zu hinterfragen. Das bläuen die Eltern den Kindern ja auch ein, soweit es um fremde Menschen geht. Für die eigenen Wünsche sollen die Kinder aber stets unmittelbar und willfährig den Aufforderungen der Erwachsenen Rechnung tragen. Das ist ja – auch für brave Kinder – nicht zwingend einzusehen. Sicher ist es andersherum so, dass besonders brave Kinder in der Regel eher kooperativ auf die Wünsche reagieren, indem sie diese Aufforderungen nicht destruktiv hintertreiben, sondern eher konstruktiv hinterfragen – und bei Einsicht dem Auftrag auch Folge leisten. Das sind aber weitere Abstufungen, die an dieser Stelle noch nicht weiter vertiefen möchte.
These 3: Kinder sind nur dann nicht brav, wenn sie sich tatsächlich bewusst bösartig verhalten. Ein solches Verhalten ist aber meines Erachtens nicht angeboren, sondern von Erwachsenen kopiert.
Es gibt tatsächlich Kinder, die sich zeitweise hinterlistig, durchtrieben – zusammengefasst: bösartig, verhalten. Solche Kinder würde ich – wenn sie diese Verhaltensmuster zeigen – in diesem Moment nicht mehr als brav bezeichnen. Denn sie nutzen andere Kinder zu ihrem Vorteil aus oder erniedrigen andere Kinder aus Beweggründen, die dem Verhalten nicht angemessen sind. Diese Kinder haben offensichtlich beobachtet, dass dieses Verhalten persönlich nutzbringend ist und wenig Risiko birgt, gerade dann, wenn keine anderen Personen in der Nähe sind, die diesem Verhalten Einhalt gebieten können. Insgesamt sind diese Verhaltensweisen bei Kindern grundsätzlich eher selten. Auch ist in der Regel kein Kind dauerhaft bösartig.
Zusammenfassend ergibt sich für mich folgendes Bild:
Kinder sind grundsätzlich brav. Bestimmte Verhaltensweisen, die gemeinhin von Seiten der Erwachsenen als eher negativ eingestuft werden – insbesondere Ungeduld und Widerspenstigkeit – sind aber aus Sicht des Kindes ganz natürlich und normal. Sie verhalten sich in diesen Momenten nicht wesensfremd. Vielmehr sind die Erwachsenen dazu aufgerufen, ihre Sicht der Dinge zu erklären bzw. bestimmte Uneinsichtigkeiten auch hinzunehmen – einfach weil das Kind diese Wünsche der Erwachsenen noch nicht verstehen kann. Kinder verhalten sich altersgerecht und entsprechend ihrer persönlichen Reife und ihrem persönlichen Verständnis von gesellschaftlichen Gepflogenheiten bzw. Vereinbarungen. Lediglich im Falle der bewussten Bösartigkeit würde ich ein Kind als in dieser Situation als nicht mehr brav einstufen. Aber dieses Verhalten ist meines Erachtens für ein Kind auch wesensfremd, weil von Erwachsenen kopiert und mehr oder weniger perfektioniert eingesetzt.
Das Ideal des braven Kindes bedeutet für mich also: Kinder sind ideal – und brav.
Wie passt diese Bild zu Deinen Erlebnissen mit Kindern vom heutigen Tag?
Ich freue mich auf Deine Nachricht.
P.S. Gerne nehme ich mit diesem Beitrag an der folgenden Blogparade teil:
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