
Was ist das größte Missverständnis, das es im Bereich der Wirtschaft derzeit gibt?
Aktuell gibt es meines Erachtens ein offenkundiges Missverständnis, welches eigentlich derzeit der größten Aufmerksamkeit in der internationalen Wirtschaft bedürfte.
Es handelt sich um das Missverständnis, dass viele in der Öffentlichkeit davon ausgehen oder unterstellen, dass sich die Wirtschaft gesund weiterentwickeln kann, obwohl eine wesentliche Komponente unserer Wirtschaft – nämlich das Konzept der Verzinsung (d.h. Zeitwert des Geldes) – schon seit Jahren und auch künftig bis auf Weiteres außer Kraft gesetzt ist.
Es wird augenscheinlich von Wirtschaft und Politik unterstellt, dass es ja nicht so schlimm sei, dass für Kapital keine Zinsen mehr anfallen, d.h. dass man sich nahezu kostenlos verschulden kann – bestimmte Staaten (insbesondere Deutschland und die Schweiz) sogar Geld dafür nehmen, wenn sie sich höher verschulden (sog. Negativzinsen).
Dabei wird regelmäßig ausgeführt, dass dadurch die Wirtschaft angekurbelt würde, da sich Unternehmen ja günstig finanzieren könnten. Denn sie könnten ja preiswert Kredite aufnehmen. Außerdem hätten die privaten Haushalte aufgrund des niedrigen Zinsniveaus keinen Grund, viel Geld zu sparen. Sie würden daher ihr Geld eher ausgeben, was die Wirtschaft weiter ankurbeln würde.
Ein Vorteil, den vor allem die deutsche Politik mit der nachhaltigen Niedrigzinspolitik darüber hinaus noch hat, ist dass man damit Werbung machen kann, dass die Neuverschuldung sinkt bzw. eine “schwarze Null” steht. Das funktioniert aber nur – und nur so lange – wie der Staat sich kostenlos (d.h. ohne Zahlung von Zinsen) an den Kapitalmärkten weiter verschulden kann, oder alte Schulden in neue Schulden umschichten kann, die billiger sind, weil zinslos. Das ist letztlich Augenwischerei, denn die Politik ist nicht wirklich sparsam, sondern profitiert einfach von der Nullzinspolitik der internationalen Zentralbanken.
Nun aber die Nachteile, die überwiegen, aber nicht so richtig gesehen werden wollen:
Die Nullzinspolitik heizt einerseits die Verschuldung von Staaten, Unternehmen und Privathaushalten immer weiter an. Fast jeder kann sich zu sehr niedrigen Zinsen (oder gar keinen Zinsen) verschulden. D.h. es ist heute möglich Schulden aufzunehmen, ein langfristiges Zahlungsziel zu vereinbaren – und trotzdem auf kurze Sicht keine Kapitalbelastung zu haben, einfach weil selbst auf hohe Kredite kaum Zinsen zu zahlen sind. Dies ist langfristig erheblich ungesund für die Wirtschaft.
Dadurch dass man sich schon seit Jahren sehr günstig solche Fremdmittel beschaffen kann, steigt auch das Leverage (Verschuldungsquote) bei Finanzierungen erheblich. Das heißt, wenn ein Vermögenswert erworben wird – sei es ein Auto, ein Haus, ein Unternehmen, etc. – wird immer häufiger mit immer höheren Fremdkapitalanteilen gearbeitet. Das erhöht das Risiko der Anfälligkeit dieser Arten von Finanzierungen, wenn die wirtschaftliche Entwicklung sich nur leicht ins Negative dreht. Viele Finanzierungen werden zahlungsunfähig werden, sobald das Zinsniveau nur leicht steigt oder die Konjunktur leicht “hustet”. Wir fahren damit momentan ein erhebliches Risiko und erhöhen die Anfälligkeit unserer Wirtschaft für exogene Schocks (z.B. Ölpreisentwicklung, Terroranschläge, Zinserhöhungen, Arbeitslosigkeit, etc.) erheblich.
Und last but not least:
Die Asset-Bubble, welche sich in den letzten Jahren gebildet hat. Aufgrund der Verschuldungsmöglichkeiten und des niedrigen Zinsniveaus flüchten Anleger immer mehr in Sachwerte (Autos, Immobilien, Aktien, Unternehmensanteile, Kunstwerke, etc.). Dadurch ist das Preisniveau für diese Vermögenswerte in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Eine deutliche Verknappung des Angebots ist festzustellen, eine extreme Erhöhung der Nachfrage – einfach weil so viel Geld zum Anlegen vorhanden ist. Die Preise für bestimmte Vermögenswerte steigen dadurch auf ein absurd hohes Niveau.
Diese Vermögenswert-Blase wird irgendwann platzen müssen. Und dann ist das Gejammer groß. Dass die Blase nicht platzt, kann auf der Grundlage der Erfahrungen in der Wirtschaftshistorie als ausgeschlossen gelten. Natürlich gibt es viele, die sagen – “diesmal ist alles anders” (Digitalisierung, reifere Märkte, blablabla).
Tatsächlich können wir aber sicher sein, dass bei einer irgendwann notwendigen Normalisierung der Wirtschaft (z.B. Wiedereinführung des Zeitwertes von Geld – d.h. für Kredite müssen Zinsen gezahlt werden) das Preisniveau für diese Vermögenswerte wieder sinken muss. Denn der innere Wert eines solchen Vermögenswertes – also abgesehen von den spekulativen Elementen – ermisst sich aus dem tatsächlichen Vorteil (Miete, sonstige Einnahmen, Ersparnis, generierter Cash-Flow), welcher dem Vermögenswert inne wohnt.
Wie siehst Du das ?
Ich freue mich auf Deinen Kommentar !
Viele Grüße
Dein
Andreas
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